Ich war sechs, vielleicht sieben, als ich mit meiner Mutter an einem Sonntagnachmittag am Feuersee spazieren ging. Wir hatten kleine Boote aus Papier gefaltet, Enten gefüttert, Eis gegessen und wollten gerade wieder nach Hause gehen, als wir diese Frau sahen. Sie lag auf dem Boden vor einem Restaurant in ihrem Blut und Erbrochenen. Sie sah furchtbar aus. Keine Ahnung, wie lange sie dort schon lag, aber sie brauchte Hilfe, das war klar.
Meine Mutter ging zu ihr hin, beugte sich über sie, versuchte sie anzusprechen, aber die Frau war zu betrunken, um etwas zu antworten. Ihre Augen waren geschlossen, immerhin gab sie Geräusche von sich. Da fing meine Mutter an, den Menschen, die vorbeigingen, Dinge zuzurufen: „Bringen Sie Wasser und Tücher. Rufen Sie einen Krankenwagen.“ Ich stand daneben und sah zu, wie meine Mutter die Frau hochnahm, sie stützte, versuchte, sie wach zu machen, mit ihr redete, ihr erzählte, gleich würde ein Arzt kommen, ihr zu trinken gab und schließlich selbst voller Blut und Erbrochenem war. Um sie standen jetzt viele Leute und schauten ihr zu. Manche versuchten zu helfen. Und ich? Ich hatte Angst und wünschte mir, irgendwo weit weg zu sein. Ich weiß nicht, wie lange das alles dauerte. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit.
Irgendwann kam der Notarzt, die Frau wurde auf eine Trage gelegt und in den Wagen geschoben. Meine Mutter musste ein paar Fragen beantworten, dann fuhr der Krankenwagen weg und wir gingen los. Schweigend. Nur einen Satz sagte sie zu mir: „Du darfst immer erst hinterher zusammenbrechen.“ Zu Hause zog sie ihre Sachen aus und stellte sich unter die Dusche. Ich glaube, sie weinte.
Meine Mutter hat mir nie gesagt, wie man ein guter Mensch wird. Sie hat es mir immer nur gezeigt.