Apulien im August 2012. Navigationsgeräte? Gehörten nicht zur Standardausstattung eines Mietwagens. EU-Roaming? Noch fünf Jahre entfernt, und mobiles Internet war so teuer, dass eine halbe Stunde Navigation rund 50 Euro gekostet hätte. Wer sich nicht verfahren wollte, musste ganz klassisch Karten lesen. Oder es zumindest versuchen … Und genau hier beginnt diese Geschichte.
„Wo müssen wir jetzt lang?“ Es ist vielleicht das tausendste Mal, dass er mich das fragt. Er sitzt am Steuer, ich daneben mit der Landkarte in der Hand, und auf den Wegweisern am Kreisverkehr stehen Städte, die ich auf dieser Karte nicht finden kann – zumindest nicht auf die Schnelle. Und so muss ich zum tausendsten Mal sagen: „Ich weiß es nicht.“
Ich dachte immer, ich könnte Karten lesen, hätte einen guten Orientierungssinn, aber Italien lehrt mich eines Besseren. Ich bin ein Nichts, ein Niemand. Setzen, Sechs! Oder: Das müssen wir wohl noch mal üben!
Seit einer Woche habe ich zum tausendsten Mal weder eine Ahnung, wo wir sind, noch auf welcher Straße wir uns gerade befinden. Ich habe zum tausendsten Mal die Städte auf der Karte gesucht, die auf den Schildern am Kreisverkehr stehen, und sie einfach nicht gefunden. Sind das die nächsten Ortschaften? Die nächsten großen Städte? Oder die Städte ganz am Ende dieser Landstraße – und somit gar nicht mehr auf meiner Karte zu finden? Und warum ist bei zehn Kreisverkehren eine Stadt ausgeschildert und beim elften nicht mehr, obwohl man gewissenhaft die richtige Abfahrt genommen hat?
Es ist Tag 7 in Italien, und ich bin verzweifelt.
Ich weiß nicht, wie viele Kilometer wir zu viel gefahren sind, weil wir wieder umdrehen mussten. Ich weiß nicht, wie oft wir uns darüber in die Haare bekommen haben, und ich weiß momentan auch wieder mal nicht, wo es langgeht. Mein Prinzip: Viel Hoffnung, wenig Erfolg.
Man könnte meinen, ich hätte in den Tagen zuvor etwas über italienische Straßen gelernt – man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles – und könnte deshalb auch besser navigieren. Doch das Einzige, was ich gelernt habe, ist, auf möglichst schonende Weise zu sagen: „Umdrehen … bitte.“
L. schläft die meiste Zeit in ihrer Babyschale. Und wenn sie nicht schläft, sagt sie: „Da!“, als wüsste sie, wo es langgeht. Wenn wir aussteigen, freut sie sich, und wenn sie wieder einsteigen soll, wehrt sie sich. Vielleicht hat sie keine Lust auf das ständige Umdrehen. Ich verstehe sie. Mir jedenfalls wird davon auch ganz schlecht, was nicht zur Besserung meines Orientierungssinns beiträgt. Ganz im Gegenteil: Wenn ich drei Mal tief eingeatmet und dabei kurz die Augen geschlossen habe, kann ich mir sicher sein, die entscheidende Abfahrt verpasst zu haben.
Manchmal hilft es mir, dass ich weiß, wo die Sonne auf- und untergeht. Und wenn ich weiß, in welche Himmelsrichtung wir fahren, kann ich zumindest darauf hoffen, beim nächsten Kreisverkehr mehr Glück mit der Beschilderung zu haben.
Blöd nur, wenn der auf sich warten lässt. Und noch blöder, dass auf den Schildern fast nie steht, wie viele Kilometer es bis Stadt X oder Dorf Y sind. Das würde das Suchen und Finden auf der Karte bestimmt erleichtern.
Aber nein: Entweder kennst du dich aus, oder du hast die Arschlandkarte gezogen.
Im nächsten Urlaub möchte ich ein Navigationsgerät mitnehmen. Vielleicht hilft es. Vielleicht auch nicht. Vielleicht sagt es uns auch erst, dass wir in fünf Kilometern rechts abbiegen sollen, um uns nach sechs Kilometern mitzuteilen, dass wir die Route verlassen haben. Und am Ende stehen wir doch wieder vor einem Kreisverkehr, als hätte uns das Gerät absichtlich in eine Endlosschleife geschickt, um uns zu sagen: „Der Weg ist das Ziel.“

Wie herzlich das aus dem Leben geschrieben ist. Es hat mich direkt zurück in die Zeit versetzt und herzlich zum Lachen gebracht. Heute unvorstellbar , wo wir doch überall online/ erreichbar sind. Danke
Würde mit niemandem lieber Kreise drehen!